Eigentlich dürfte ich Kartoffelsalat gar nicht sehen. Ich interessiere mich nicht für deutsche YouTuber, kenne mit Hängen und Würgen LeFloid wegen seines mittelmäßigen Merkel-Interviews und diese andere, die jetzt ständig auf gesponserten YouTube Werbevideos läuft und deren Namen ich dauernd vergesse. Nun habe ich mir trotzdem eine Karte gekauft, weil es der Film geschafft hat als ‚,schlechtester Film aller Zeiten“ zerrissen zu werden. Es scheint die ideale Gelegenheit für mich kleinen Schreiberling meinen Schwengel auszupacken und mit momentaner Überlegenheit auf das Image von Leuten zu pissen, die mir unsympathisch und generationsfremd sind. Und trotzdem jeden Tag mehr Zuschauer haben als all meine Artikel Leser im ganzen Jahr.
Der Trailer zu Kartoffelsalat teasert für einige Sekunden eine Zombieapocalypse an und verbringt dann den Rest seiner Zeit damit seine – mir unbekannten – Darsteller aufzulisten.
Ich bin eindeutig nicht sein Zielpublikum und dennoch muss ich gestehen, dass ich das alles spontan recht positiv fand: Die paar wenigen Ausschnitte sahen nicht komplett desaströs aus und vielleicht, so dachte ich, sind das junge, kreative Menschen, die ihre Fans und ihren Einfluss nutzen um jenseits von Schweiger und Eichinger, jenseits der großen Studios und, ja, sogar jenseits des ernsten, rauen deutschen Independentkinos ihr eigenes Ding zu drehen. Ein frischer Wind in der Filmlandschaft, das bisschen Anarchie und Rock’n’Roll, das hier seit langem fehlt, alles getrieben durch den Willen einer Generation, die sich eigentlich schon fast vom Kino verabschiedet hat.
Dann vergaß ich den Film lange Zeit und plötzlich polterte die Lawine der schlechten Rezensionen durch die Medien. Erst hier wurde mein Interesse geweckt. Das letzte Mal als ich ähnliches mitbekommen habe, ging es um den Film Daniel der Zauberer zu einer Zeit als Daniel Küblböck der Prügelknabe der Nation war. Bei Kartoffelsalat haben wir es aber nicht mit dem Machwerk einer kontroversen Berühmtheit zu tun, die etwas Rampenlicht abgreift, sondern mit einer ganzen Riege von Menschen, die einen gewissen Zeitgeist verkörpern und eine große Fanbase haben.
Und trotzdem hat keiner dieser Millionen von YouTube-Followern genug Enthusiasmus um hier und da mal zumindest ein paar positive Nutzerwertungen zu verfassen?
Vielleicht war es ein Rudel von Trollen, das schlechte Bewertungen abgab, vielleicht waren es zornige Mitglieder meiner Generation, ewig gestrige, die ihrem Ärger freien Lauf lassen, weil sie die „Jugend von heute“ nicht mehr verstehen. Die Luft des Internets wurde dick und plötzlich wollte ich Kartoffelsalat sehen und war bereit ihn abgrundtief zu hassen.
Im Kino waren ich und meine zwei Freunde dann auch konsequenterweise die einzigen Gäste und saßen wie Mystery Science Theater Silhouetten vor der Leinwand, bereit dafür den Film verbal zu torpedieren. In der fast meditativen Einsamkeit des Kinosaals dämmerte es mir dann auch langsam: diesen Film hatten wirklich, wirklich wenige Leute gesehen. Wir drei gehörten gleich dazu, aber abgesehen davon blieben die Kinokassen leer, mein Bekanntenkreis hatte teilweise nicht mal davon gehört. Die Generation YouTube blieb offenbar lieber zuhause und scheinbar ist der beste Grund ihn dieser Tage anzugucken der, den wir hatten: nämlich um zu sehen wie unbekömmlich dieser Kartoffelsalat denn wirklich ist.
Kartoffelsalat erzählt die hauchdünne Story eines Losers (YouTuber: Freshtorge), der an eine neue Schule kommt, an der eine Zombieplage ausbricht. Viel mehr kann man über den Inhalt nicht sagen, sobald das Setting steht ist der Rest eine Gag-Revue. Das Gimmick ist der fast komplette deutsche YouTube Adel, der sich dafür vor der Kamera die Ehre gibt.
Nach knapp 90 Minuten gingen die Lichter im Saal dann wieder an und nachdem ich diese unheilige Perversion von einer Zelluloid-Missgeburt miterleben musste, kann ich endlich klar und deutlich sagen: Dieser Film… DIESER „Film“… DIESER FILM… ist nicht sonderlich gut.
Es ist relativ klar, was hier passiert ist: Einige junge Menschen haben viel, viel, viel Nackte Kanone, Reise in einem verrückten Flugzeug und Hot Shots gesehen, dann noch ein paar alte Otto Filme und ganz kurz in Shaun of the Dead reingezappt und versucht das mit ihren Kumpels nachzumachen. Eine Menge Witze sind schlicht und ergreifend eins zu eins aus den Vorbildern kopiert, manches wurde neu hinzugefügt, einiges klappt, vieles nicht, die meisten Pointen telegraphieren ihre Ankunft 5 Meilen im Voraus.
Das Problem ist, dass weder die handwerkliche Finesse noch das spielerische Talent der offensichtlichen Vorbilder erreicht wird. Kameraführung, Schnitt und Timing treffen sich fast nie und manchmal wirkt die Bildgestaltung oder das Schauspiel sogar ungewollt gegen den potentiellen Humor, was wirklich frustrierend ist.
Dass die Figuren komplett platt sind, sich ihre Charaktereigenschaften immer den nächstbesten Witz anpassen und die Geschichte keinen Sinn ergibt, sei nur nebenbei erwähnt, denn das ist ja bei vielen der oben genannten Werke auch der Fall. Nur eine zähneknirschende Ulkserie die sich durch den ganzen Film zieht, sei hier kurz erzählt:
Jeder nimmt alles wörtlich. Und zwar immer. Da ruft jemand „Das ist doch alles Käse!“ und legt eine Scheibe Käse auf den Tisch. Da fragt jemand „Hast du den letzten Schuss nicht gehört?“ und plötzlich kommt jemand rein und schießt. Da sagt jemand „Mal mal nicht gleich den Teufel an die Wand!“ …ihr versteht worauf ich hinaus will. Da hilft es auch nicht, dass der Film gerade diesen Witz am Ende ironisch bricht.
Ironische Brechung ist ohnehin ein kleines Zauberwort und wird heute ja gerne als „Du kommst aus der Kritik frei“-Karte gespielt. So auch wieder hier, wo am Ende eine Lösung für das Zombie-Problem präsentiert wird und eine der Figuren diese ziemlich doof findet, worauf sich der Protagonist zum Publikum wendet und sagt „Na was erwartest du denn, bei einem Film, der Kartoffelsalat heißt?“ AUGENZWINKERN. Während ich diese Worte schreibe zelebriert Kartoffelsalats Facebookseite ironisch, dass sie schlechtester Film aller Zeiten sind. Das macht die Sache nicht lustiger und auch nicht besser.
Und dennoch kann ich dem Film nicht wirklich böse sein. Denn die bittere Wahrheit ist: Wenn mir jemand als Teenager plötzlich eine Million Euro in die Hand gedrückt hätte und mir tausende von Leuten auf die Schulter geklopft hätten, um mir zu sagen, dass ich mal mit meinen Kumpels einen Film machen soll, wäre ungefähr sowas wie Kartoffelsalat rausgekommen. Warum auch nicht? Ich nenne jetzt einfach Mal ein paar der erfolgreichsten (!) deutschen Filme: Der Schuh des Manitu, Traumschiff Surprise, 7 Zwerge – Männer allein im Wald, Otto – Der Film, Der Wixxer – und ja, einige sind genau auf den gleichen Niveau wie Kartoffelsalat was Inhalt, Humor und Storytelling angeht. Warum also der Radau?
Vielleicht weil Kartoffelsalat ein Film ist, der für keinen gemacht ist. Er spielt sich aus wie ein Insidergag in einem Freundeskreis, zu dem nur die Leute vor der Kamera gehören, er ist humoristisches Brachland, der die YouTuber nicht zieht, weil es dem YouTube-Format zu fremd ist und der das Kinopublikum nicht zieht, weil sie die Darsteller nicht kennen und die Witze nicht zünden.
Das wahre Sünde von Kartoffelsalat ist jedoch sein kompletter Mangel an Originalität. Ich kannte fast alle Witze – die meisten in einer besseren Variante. Für 14- bis 16-Jährige ist das möglicherweise alles #Neuland und wenn ich sowas als junger Mensch zum ersten Mal sehen würde, hätte ich mich vielleicht sogar amüsiert.
Doch was sagt es denn über die Generation Web 2.0. aus, dass sie Filme macht, wie vor 25 Jahren? Brauchen wir wirklich einen neuen Otto-Film oder eine aufgewärmte Nackte Kanone? Das ganze erinnerte mich dann doch sehr an das LeFloid-Interview, bei dem jeder dachte, dass die frischen, kreativen Internethipster ja nun endlich mal Tacheles reden und mit ihrer unverblümten Art alles neu machen. Pustekuchen.
Möglicherweise ist die Originalität vieler YouTube-Stars gar nicht universell originell sondern in Wirklichkeit eine konventionelle Arbeit in einem Medium, dass uns nur deshalb so originell vorkommt, weil es eben so vergleichsweise neu ist. Entfernt man dieses Medium und seine inhärente Originalität, dann merkt man scheinbar, dass die klassischen Formate wie Interview oder Spielfilm eben auch klassische Resultate hervorbringen und plötzlich sind wir enttäuscht, dass „Fresh“ Torge wirkt wie der Kaffee vom Vortag.
Seine schlechte Presse hat Kartoffelsalat zu großen Teilen verdient, seinen Ruf als „schlechtester Film aller Zeiten“ jedoch bei Weitem nicht. Denn wenn dieser Film eins ist, dann harmlos. Es gibt keinen Grund ihn anzusehen, es werden keine Risiken eingegangen, er provoziert nicht, regt nicht auf, es werden keine Grenzen gebrochen, keine Dämme gesprengt, und scheinbar haben das sogar die Internetnutzer mitbekommen und bleiben den Kinos fern, außer um den Film ironisch anzuschauen.
Es sind bereits die nächsten YouTuber-Filme geplant und es schmerzt mich zu sagen, dass den besten Rat leider Richard Wagner im Gepäck hatte, der schon damals rief: „Kinder, macht Neues! Neues! und abermals Neues! – hängt Ihr Euch an’s Alte, so hat euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Künstler!“
Und wenn die neue Generation Filmemacher das auch nach über hundert Jahren nicht gehört hat, dann sind wir wirklich dazu verdammt unsere alten Fehler bis in alle Ewigkeit zu wiederholen.