Das Netz ist groß und wild und Überraschungen lauern überall: viele davon auf dem wunderbaren Sammelsurium, das sich Reddit schimpft. Eine Seite, bei der über 200 Millionen Nutzer bestimmen, was auf das Titelblatt kommt und was in Vergessenheit gerät. Mit einem etwas eigenen Schachzug hat das Unternehmen hinter Reddit nun die Seite Upvoted ins Leben gerufen, auf der die besten Beiträge redaktionell aufbereitet werden. Das riecht etwas faul, das riecht etwas nach Betrug und es riecht widerlicher Weise etwas nach Buzzfeed.
Seit ungefähr einem Jahr bin ich bekennender Reddit-Fan und schon viel länger hasse ich Buzzfeed. Beide Seiten erfreuen sich immenser Beliebtheit, aber während Buzzfeed mit seinen billigen Clickbaits und nichtssagenden Listicles bestenfalls die BILD-Zeitung des Internets ist, ist Reddit… naja, auch nicht gerade die SZ, aber vielleicht ein Zeitschriftentisch beim Arzt, auf dem nach und nach die Gala immer weiter nach unten wandert, während der Spiegel und die Titanic meistgelesen oben liegen bleiben.
Reddit ist ein wunderbares System, das sich einerseits durch sein Bewertungsprinzip selbst nivelliert und anderseits durch seine immense Fülle an Unterkategorien (sogenannten Subreddits) einen Platz für alles hat: Da erklärt einer kurz, was der Trick vom “Super Game Boy” ist, ein Anderer fragt in die Runde warum wir bunte Farbkleckse sehen, wenn wir uns die Augen reiben, ein Dritter postet ein Foto vom Times Square in den 50ern. Warum man die Welt nicht wiegen kann, wenn man eine Waage verkehrt herum aufstellt, fragt ein Wissenschaftsinteressierter und meint es ernst – und die Lösung verblüfft. Visuell kreative Leute können sich ein „Photoshopbattle“ liefern, literarisch ambitionierte bei einem „Writing Prompt“ teilnehmen und wem das zu aufregend ist, für den gibt es ja noch die Sparte “Mildly Interesting”.
Reddit hat zwar keinen eigenen Stil, aber es hat eine Community, die den Stil diktiert und wer auf bestimmte Sparten keine Lust hat, abonniert sie einfach nicht. Reddit ist Prokrastination auf höchsten Niveau aber eben auch ein Wunderland, bei dem jeder erschaffen oder bestaunen darf und die schönsten Beiträge mit Upvotes fördern kann, damit sie auf der selbst ernannten „Frontpage of the Internet“ landen.
Die Entscheidung, plötzlich wie Hauptkonkurrent Buzzfeed eine Redaktion einzusetzen, scheint leicht befremdlich. Um die Kuration kann es nicht gehen, die ist und bleibt in der Hand der User, es werden bei Upvoted eben lediglich die bestbewertetsten Einträge hervorgehoben und vertieft. Ein wenig erinnert das schon an diese unsägliche Zeit, als im Fernsehen Sendungen liefen, die „die lustigsten YouTube Videos“ des Monats präsentierten, bei denen ein halbherziger Moderator ein virales Video nochmal verbal rahmt um mehr Kontext zu bieten. Immerhin wurde da das Medium gewechselt und Internetinhalte einem Fernsehpublikum zugänglich gemacht. Von Reddit zu Upvoted verändert sich nur die Oberfläche.
Zugänglicher soll es sein, einfacher zu handhaben, etwas Ruhm und Rampenlicht für die Mitglieder der Community bereitstellen. Das wirkt jedoch nicht wie der viel betonte nächste Schritt, sondern wie ein Rückschritt, eine Entmündigung der Nutzer, ein Vertrauensentzug der Community, eine Anbiederung an Menschen, die sich nicht trauen, in den bunten Dschungel von Reddit einzutauchen, sondern lieber die Panoramatour mit Fremdenführer buchen.
Eigentlich könnte es einem fast egal sein, welche der beiden Plattformen die Leute nutzen wollen, gäbe es da nicht einen eklatanten Unterschied: auf Upvoted gibt es keine Nutzerkommentare – auf Reddit schon. Und jeder Nutzer weiß, dass gerade dort oft die Kür zu finden ist, die einen Beitrag extra lesenswert macht. Die pure Fantasie und häufig auch die Anarchie der Antworten, die teils mit Verstand, teils mit Witz daherkommen, ist oft genauso spannend wie der eigentliche Post und manchmal noch besser. Dieses Element zu entfernen oder nur bieder nachzuerzählen ist ein faux pas, der das Erlebnis, das Upvoted bieten könnte, fast unverzeihlich schmälert.
Eine Sehnsucht scheint in manchen zu pochen, dass Dinge von Fachleuten aufbereitet werden, anstatt vom Willen der Masse, mit all ihren Genies und Idioten. Denn an einen Autoren, mit Reputation und Talent, kann ich mich leicht binden und durchdringen, was er wie schreibt, wie seine Sichtweise ist und mich damit auseinander setzen. Doch die virtuellen Massen, können im Schlimmstfall dafür sorgen, dass sich alles in ein ewiges Mittelmaß manövriert, weil sich Fachmänner und Fachidioten ausgleichen.
Wenn aber diese Sorge gehört werden soll, dann bitte in voller Konsequenz und nicht durch bloße Andickung bereits bestehender Gedankengänge. Der Schritt den Reddit unternommen hat, ist kein halber und kein ganzer. Redaktion ja, Kuration nein. Keine eigenen Gedanken, aber die Gedanken von anderen mit Querverweisen und Hyperlinks versehen. Das ist kein Journalismus, sondern Blogging das sich auf nur eine einzige Seite beschränkt.
Im Endeffekt kann man nur hoffen, dass die Massen wieder sprechen und Upvoted untergehen lassen. Dann wäre zumindest ein Zeichen gesetzt, dass wir durchaus willig sind unsere virtuelle Mündigkeit ohne Vorkoster zu nutzen und Web 2.5. nicht ein bloßer Listicle über Web 2.0 wird.