{"id":870,"date":"2020-04-17T12:04:00","date_gmt":"2020-04-17T12:04:00","guid":{"rendered":"http:\/\/doktorpeng.lifeisadobbitsch.de\/?p=860"},"modified":"2020-05-12T20:29:37","modified_gmt":"2020-05-12T20:29:37","slug":"the-jungle-book-jenseits-von-gut-und-boese","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/the-jungle-book-jenseits-von-gut-und-boese\/","title":{"rendered":"The Jungle Book \u2013 Jenseits von Gut und B\u00f6se"},"content":{"rendered":"\n

Auf einer Liste von Dingen, die mich nicht interessieren, stand bis vor kurzen das Realfilm-Remake des Jungle Books<\/em> recht weit oben. Wie viele Filmliebhaber strecke ich meinen Finger gen Himmel, prangere die widerliche Ideenlosigkeit Hollywoods an und stelle die brennende Frage: Brauchen wir wirklich noch mehr Remakes von Klassikern? Die erstaunliche Antwort lautet: Ja. Und zwar nicht technisch, sondern moralisch!<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Es scheint als geh\u00f6re Disney<\/em>, von Marve<\/em>l bis Star Wars<\/em>, fast jedes gro\u00dfe intellectual property in Hollywood. Trotz dieser kommerziell erfolgreichen Schatzkiste an neuen M\u00f6glichkeiten, kann es der Konzern leider trotzdem nicht lassen, immer wieder in seiner eigenen Vergangenheit Grabraub zu betreiben.<\/p>\n\n\n\n

Seit neusten hat man sich n\u00e4mlich zum Ziel gesetzt immer mehr ihrer \u201ebeloved animated family classics\u201c in Realfilme zu verwandeln. Maleficent<\/em> versuchte vor zwei Jahren aus Sleeping Beauty<\/em> eine Abwandlung von Wicked<\/em> zu machen und der letztj\u00e4hrige Cinderella<\/em> ist mehr oder weniger eine eins zu eins Umsetzung des Animationsfilms. Beide Machwerke hinterlassen einen faden Beigeschmack in der Dinge-die-die-Welt-nicht-braucht-Schublade.<\/p>\n\n\n\n

Das Jungle Book<\/em> h\u00e4tte genau in die gleichen Fallen tappen k\u00f6nnen: ideenloser Neuaufguss oder schlecht gemachter Abklatsch. Doch zum Gl\u00fcck ist er etwas mehr geworden. N\u00e4mlich in erster Linie ein guter Film.<\/p>\n\n\n\n

Das Remake von Iron Man<\/em>-Regisseur Jon Favreau sieht gut aus, hat Tempo und Humor, beeindruckt mit ein paar ph\u00e4nomenal aufgebauten Szenen (allen voran das Intermezzo mit King Louie), ist f\u00fcr Kinder eine echte Achterbahn und f\u00fcr Erwachsene vielleicht kein Lieblingsfilm aber dennoch sehenswert. Das Drehbuch ist dicht geschrieben und obwohl viele Referenzen und Seitenhiebe auf das Original enthalten sind, ist es ein eigenst\u00e4ndiger Film, der vielleicht ohne die Songs sogar noch besser funktioniert h\u00e4tte. Aber etwas Fanservice muss ja dabei sein. Das wirklich bemerkenswerte ist jedoch, dass es die Moral des originals auf den Kopf stellt und verdichtet.<\/p>\n\n\n\n

Die Story vom Jungle Book<\/em> ist nat\u00fcrlich die gleiche geblieben: Mowgli ist ein Findelkind im indischen Dschungel, das von W\u00f6lfen gro\u00dfgezogen wird und als der Tiger Shir Khan zur\u00fcckkehrt und ihn Fressen will, nimmt sich der Panther Bagheera seiner an und versucht ihn wieder zu den Menschen zu bringen. Auf den Weg dorthin begegnen sie freundlichen und feindlichen Bewohnern des Dschungels.<\/p>\n\n\n\n

Doch hinter dieser Geschichte stecken vertiefte und ver\u00e4nderte thematische Ans\u00e4tze. Ein Beispiel ist die neue Bedeutung des Feuers in der aktuellen Version. Schon im alten Jungle Book<\/em> hatte der Tiger Khan Angst vor dem Feuer und der Affenk\u00f6nig Louie wollte es f\u00fcr sich nutzen, allerdings eher auf eine verspielte Art und Weise. In der upgedateten Version ist das Feuer viel gegenw\u00e4rtiger und viel klarer als Waffe gekennzeichnet. Die Tiere f\u00fcrchten es, die Menschen nutzen es, die verheerende Kraft und vernichtende Wirkung werden immer wieder betont und auch oft gezeigt. Shir Khans Gesicht ist von Brandnarben entstellt und die Entscheidung ob man diese Waffe nutzt um die Machtverh\u00e4ltnisse im Dschungel zu kippen, ist eine sehr viel pr\u00e4kerere, eine viel politischere.<\/p>\n\n\n\n

Ohnehin gibt es eine Menge Politik in Favreaus Dschungelwelt: die Elefanten sind quasi zu Elben geworden, die den Dschungel von Beginn der Zeit kennen und sch\u00fctzen, die W\u00f6lfe haben eigene Hierachien gebildet, es gibt Waffenruhen zur Trockenzeit, einen Ehrenkodex, ein Gleichgewicht der M\u00e4chte, als Mowgli das Gesetz des Dschungels zitiert, erkl\u00e4rt Balu es zur Propaganda und eine Enklave der Affen, die autonom herrscht braucht nur noch eine Waffen.. pardon\u2026 Feuerlieferung um eine Diktatur zu erschaffen.<\/p>\n\n\n\n

Was das Hauptthema angeht ist das neue Jungle Book<\/em> allerdings viel n\u00e4her an Disneys 99er interpretation von Tarzan<\/em> als an seiner eigentlichen Vorlage. In beiden Filmen geht es vorrangig darum wo man hingeh\u00f6rt und die Hauptfiguren werden durch eine geh\u00f6rige Identit\u00e4tskrise gezerrt: Tarzan will ein Gorilla sein, aber sein Gorillavater erkennt das nicht an. In einer der sch\u00f6neren Szenen des Filmes hockt der verzweifelte junge Tarzan am Flussufer und reibt sich mit Schlamm ein um endlich wirklich wie ein Affe auszusehen. Eines Tages erkennt er aber, in eine pfiffige Montage gebettet, dass er seine eigenen Wege finden muss um mitzuhalten und so erfindet er Werkzeuge, schwingt von Lianen und schafft es Teil der Familie zu sein ohne seine Pers\u00f6nlichkeit aufzugeben. Der gleiche Parcours wird von Mowgli im neuen Jungle Book<\/em> gelaufen: Mowgli will Wolf sein, schafft das \u201cwolfen\u201c aber nicht ganz, wird erfinderisch und ist pl\u00f6tzlich ein besserer Wolf als alle anderen W\u00f6lfe, dank seiner menschlichen F\u00e4higkeiten. Doch die Frage bleibt: wo geh\u00f6rt man hin?<\/p>\n\n\n\n

Diese Frage stellt sich der 67er Mowgli nie wirklich. Der will haupts\u00e4chlich im Dschungel bleiben und bockt hier und da rum aber als pl\u00f6tzlich am Ende ein h\u00fcbsches M\u00e4del auftaucht, sch\u00f6ne Augen macht und ein Liedchen tr\u00e4llert ist er auf und davon und wieder bei den Menschen. Keine Hintergedanken, keine Sinnkrise. Tarzan f\u00e4llt die ganze Angelegenheit schon schwerer, denn der entdeckt, dass er eigentlich zu den Menschen geh\u00f6ren sollte, aber dass die Gorillas seine Familie, seine Welt und auch seine moralischen Werte besser verk\u00f6rpern. Es wird ein Kompromiss gefunden: Tarzan bleibt bei den Gorillas, aber er darf seine Jane behalten, die damit auch zum Stamm geh\u00f6rt. Das neue Jungle Book<\/em> geht allerdings noch einen Schritt weiter.<\/p>\n\n\n\n

Nach all den Irrungen und Wirrungen wohin man geh\u00f6rt und wohin nicht, trifft Mowgli immer wieder auf Tiere im Dschungel, denen er mit seinen Erfindungsreichtum, mit seinen menschlichen Qualit\u00e4ten helfen kann und schafft sich damit Freunde. Der neue Mowgli geht nicht zur\u00fcck zu den Menschen sondern bleibt im Dschungel.<\/p>\n\n\n\n

Nicht nur das, sondern er schafft sich auch eine Identit\u00e4t au\u00dferhalb des Wolfsrudels. In einer gro\u00dfen Finalen Schlacht stehen alle Tiere, denen er geholfen hat, pl\u00f6tzlich f\u00fcr ihn ein und der Voice-Over von Bagheera erz\u00e4hlt uns, dass noch nie der Dschungel vereint gewesen sein. Das letzte Bild des Filmes ist nicht Mowgli bei den Menschen oder Mowgli bei den W\u00f6lfen, sondern Mowgli in der N\u00e4he des Wolfsrudels auf einem Baum mit Bagheera dem Panther und Balu dem B\u00e4ren. Am Ende hat er nicht die Gruppe, das Rudel oder die Vaterfigur gefunden, zu der er geh\u00f6ren muss, sondern ist ein Individuum geblieben, dass mit jeden Bewohner des Dschungels etwas zu tun hat.<\/p>\n\n\n\n

Hier wird, ab von jedem technischen Update, erst die wahre Tugend dieses Remake sichtbar, n\u00e4mlich dass es moderne Werte vertritt. Das fast 50 Jahre alte Original hat die klare Linie, dass Menschen zu Menschen und W\u00f6lfe zu W\u00f6lfen geh\u00f6ren und wenn man das nicht akzeptiert, dann muss man es eben erst lernen. Tarzan<\/em> trat in den 90ern bereits in eine andere Richtung, indem Identit\u00e4t nicht genetisch bedingt ist, sondern mit Lebensweisen, Normen und Werten zu tun hat, die man sich selbst aussucht. Aber dennoch muss man in Tarzans Welt noch immer eine Wertegemeinschaft finden, zu der man passt. Das neue Jungle Book<\/em> ist vollends in einer Multikulturellen Gesellschaft aufgegangen, in der jedes Individuum integriert werden kann ohne assimiliert zu werden und schafft damit einen Mikrokosmos der gesellschaftlichen Utopie. Man ist weder durch Geburt noch durch soziale Gruppierungen zu einem Lebensweg gezwungen, sondern kann seine eigenen Tugenden finden und ausleben und dabei sogar noch anderen Helfen und Br\u00fccken zwischen Parteien schlagen, wenn es sich ergibt.<\/p>\n\n\n\n

In diesen Lichte betrachtet ist der Film seinen eigenen Werten sehr treu: er erfindet sich individuell neu, ohne seine Wurzeln zu verleugnen und spielt in vielen Schubladen, ohne sich in eine stecken lassen zu wollen. Wir erleben ein Remake, wie es sein soll, erz\u00e4hlerisch dichter und moralisch spannender als sein Vorbild und dadurch so sehr etwas eigenes, das beide Werke ihren Wert haben. Wenn ich meinen Kindern nur ein Jungle Book<\/em> zeigen w\u00fcrde, dann w\u00e4re es sicher dieses hier, wo es keinen Klassenunterschied mehr gibt und die Panther bei den W\u00f6lfen schlafen. Doch das Sch\u00f6ne ist (und auch hier greift wieder die neue Denklinie), dass es diese Entscheidung nicht geben muss. Es herrscht kein Konkurrenzkampf, kein Futterneid, zwischen dem unverf\u00e4nglichen damals und dem spannungsgeladenen heute, sondern pl\u00f6tzlich existieren einfach zwei Filme, die f\u00fcr ihre jeweiligen Ans\u00e4tze und ihre Entstehungszeit hervorragend sind.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Es gibt auch Dinge an Disney-Remakes, die nicht v\u00f6llig verwerflich sind.<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[9],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/870"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=870"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/870\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":1050,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/870\/revisions\/1050"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=870"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=870"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=870"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}