{"id":871,"date":"2020-04-16T12:04:00","date_gmt":"2020-04-16T12:04:00","guid":{"rendered":"http:\/\/doktorpeng.lifeisadobbitsch.de\/?p=861"},"modified":"2020-05-12T20:29:58","modified_gmt":"2020-05-12T20:29:58","slug":"interstellar-quo-vadis-christopher-nolan","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/interstellar-quo-vadis-christopher-nolan\/","title":{"rendered":"Interstellar \u2013 Quo vadis, Christopher Nolan?"},"content":{"rendered":"\n

Wenn man dieser Tage in die Kinos geht und sich Interstellar<\/em> anschaut, sitzt man vielleicht zuf\u00e4llig zwischen einem Filmstudenten und einem Kellner. Nach kurzer Zeit sieht man ein Leuchten in ihren Augen, und daraufhin h\u00f6rt man von links und rechts unisono: \u201eI love you, Chris Nolan!\u201c \u2013 der Filmstudent f\u00fcgt hinzu: \u201eUnd wenn ich gro\u00df bin, m\u00f6chte ich so sein, wie du.\u201c, w\u00e4hrend der Kellner sagt: \u201eWarum k\u00f6nnen nicht alle Filme so sein wie deine?\u201c<\/strong>
Mr. Nolan scheint eine Lichtgestalt zu sein, ein Messias, der das Publikum durch alle sozialen Schichten begeistert und die Kritiker vor Bewunderung ohnm\u00e4chtig werden l\u00e4sst. In seinem neuen Film geht es darum, wie es mit der Menschheit weitergeht. Grund genug uns zu fragen: Wie geht es wohl mit Christopher Nolan weiter?<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Es gibt diese Filmschaffenden, die nicht nur Regisseure sind, sondern auch Aush\u00e4ngeschilder. Ein beliebiger junger Mensch beginnt sich f\u00fcr eine neue Thematik in seinem Leben (in diesem Fall Film) zu interessieren und m\u00f6chte, nein muss<\/em> seinen Gespr\u00e4chspartnern in Caf\u00e9s, in der Universit\u00e4t und auf Parties zeigen, dass er eben nicht mehr der casual Mainstreamfilmgucker ist, sondern ein \u201eCineast\u201c.<\/p>\n\n\n\n

Das Problem ist, der neu gebackene Filmkenner hatte bisher eben nur Erfahrungen mit dem Mainstream und muss in den Gespr\u00e4chen Namedropping betreiben. Genauer gesagt: er muss einen Namen nennen, den er selbst kennt und der zwar k\u00fcnstlerisch hochwertig ist, aber dennoch genug Leuten bekannt, damit sie verstehen, dass<\/em> er k\u00fcnstlerisch hochwertig ist. Vor einigen Jahren war dieser Name Quentin Tarantino, davor David Lynch, viel weiter zur\u00fcck Kubrick, davor Hitchcock und heutzutage ist es oft Christopher Nolan.<\/p>\n\n\n\n

Das bedeutet keineswegs, dass die hier genannten Regisseure minderwertig oder oberfl\u00e4chlich sind, nein, ganz im Gegenteil: Sie alle sind Autorenfilmer, die es schaffen einen sehr d\u00fcnnen Schnittpunkt zwischen Filmen f\u00fcr die breite Masse und<\/em> anspruchsvollen Filmen f\u00fcr sich zu beanspruchen und damit sowohl den Popcornwilligen als auch den Arth\u00e4uslern in die H\u00e4nde zu spielen.<\/p>\n\n\n\n

Diese Formel hat Christopher Nolan vielleicht wie kein anderer perfektioniert; The Prestige<\/em>, Inception<\/em> und nicht zuletzt die Dark Knight<\/em> Filme sind einerseits actiongeladen und gut bek\u00f6mmlich, aber andererseits auch ein spannendes Geflecht an moralischen und thematischen Fragen. Man kann, wenn man will, tagelang \u00fcber sie nachdenken. Die Betonung liegt hier auf wenn man will<\/em>: wenn nicht, hat man einfach seinen Spa\u00df und wenn doch, hat man einen kleinen Zugang zu gro\u00dfer Filmkunst.<\/p>\n\n\n\n

Es macht besonders Freude Nolans Werdegang zu beobachten, weil man sieht, wie er dazulernt. Er baut in seine Filme oft genug kleine Finger\u00fcbungen ein, die er dann erst im folgenden Werk komplett ausformuliert. Sein Erstling Following<\/em> spielt mit der Chronologie seiner Erz\u00e4hlung an einigen Schl\u00fcsselstellen. Nolan macht sich Gedanken, wann wie eine Szene beginnen und aufh\u00f6ren muss, damit dieser Kniff seine Wirkung entfaltet \u2013 dieses System finden wir dann auf die Spitze getrieben in Memento<\/em>, dessen Chronologie komplett umgekehrt ist.<\/p>\n\n\n\n

In The Dark Knight<\/em> gibt es eine knapp 7-min\u00fctige Sequenz in der drei sehr wichtige Ereignisse gleichzeitig geschehen. Nolan achtet genau darauf, wann die Szenen wie geschnitten sein m\u00fcssen, damit sie sich nicht gegenseitig behindern und der Zuschauer \u00fcberall der Action folgen kann. Die Konsequenz davon finden wir in Inception<\/em>, dessen Finale \u00fcber 30 Minuten an vier verschiedenen Brennpunkten stattfindet.<\/p>\n\n\n\n

Nolan \u00fcbt, Nolan lernt, Nolan wird gr\u00f6\u00dfer. Wenn man den bescheidenen Memento<\/em> gegen Inception<\/em> stellt, sind sie zwar thematisch eng beieinander, aber vom Production-Value liegen Welten dazwischen. Inception<\/em> war das Gr\u00f6\u00dfte, Teuerste und Aufwendigste, das Nolan bisher auf die Leinwand zauberte. Und heute kommt Interstellar<\/em> und man fragt sich, ob es wirklich m\u00f6glich ist, immer noch gr\u00f6\u00dfer, immer noch besser zu werden. Jetzt wissen wir die Antwort.<\/p>\n\n\n\n

\u201eWe used to look up at the sky and wonder at our place in the stars, now we just look down and worry about our place in the dirt.\u201c<\/p>\n\n\n\n

Interstellar appelliert an den Pioniergeist der Menschheit und postuliert, dass wir gro\u00dfe, einzigartige Taten vollbringen k\u00f6nnen: Nolan geht mit gutem Beispiel voran. Der Aufw\u00e4rtstrend, was die Dimensionen der Filme angeht bleibt bestehen: Interstellar <\/em>ist noch ein St\u00fcck gigantischer als Inception, <\/em>noch effektlastiger und sein bisher l\u00e4ngster Film. Man braucht nicht lange, um zu merken, dass er sich aus vielen Sci-Fi Schubladen einige Bausteine heraus nimmt: Die Referenzen zu 2001: A Space Odyssey<\/em> sind sowohl inhaltlich als auch stilistisch nicht zu \u00fcbersehen. Trotzdem schafft er es, diese Teile auf eine neue Art und Weise zu kombinieren. Er erschafft einmalige Welten, die den Film sehr erfrischend machen. Man kann keine drei Ecken vorausdenken, weil an Ecke Nummer zwei pl\u00f6tzlich etwas passiert, dass alle Ecken abschafft. Wir sind so damit besch\u00e4ftigt, dieses Universum zu durchdringen, es zu verstehen, dass es uns auf dem Weg dorthin stets \u00fcberraschen kann. Ein System, dass schon in Inception<\/em> gut funktioniert hat, wird hier nochmal verfeinert.<\/p>\n\n\n\n

Nolan, das ist kein Geheimnis, ist ein Denker. Seine Filme sind oft zu einem gewissen, zug\u00e4nglichen Grad verkopft und seine Themen und Gedankeng\u00e4nge h\u00e4ufig wichtiger als die eigentliche Story. Es geht in Interstellar<\/em> nat\u00fcrlich um Raumfahrt, aber eben auch um Nolans Lieblingsthema: Wieviel Wahrheit vertragen wir und wann m\u00fcssen wir l\u00fcgen? Dazu gesellen sich Ansichten \u00fcber Menschlichkeit, Kulturen, Individuen und eine Abhandlung \u00fcber Technologie und Technophobie, alles verpackt in einer Technocalypse, die stil- und themengerecht im Retro-Look daherkommt.<\/p>\n\n\n\n

Bei all diesen Themen blieben in vielen Nolan-Filmen die Figuren auf der Strecke. Sie sind zwar interessant, aber dienten oft nur dazu atlasgleich die Last der Gedanken auf ihren Schultern zu tragen, ohne selbst wirklich zu leben und zu atmen. Das sp\u00fcrt man in der ersten Stunde von Interstellar<\/em> sehr, wo jeder Satz ein Foreshadowing, eine Allegorie und eine Metapher sein k\u00f6nnte \u2013 und meistens auch ist. Nolans bisheriger Trick war es, hervorragende Darsteller zu besetzen, die den Figuren die Tiefe geben, die ihnen das Drehbuch verweigert. Genau das passiert hier auch und mal wieder geht die Rechnung auf und das Ensemble gl\u00e4nzt in fast jeder Szene.<\/p>\n\n\n\n

Aber etwas ist anders \u2013 und hier beginnt die Zukunft. Es gibt \u00fcberraschend viele Szenen, in denen Nolan anf\u00e4ngt zu menscheln. Die Frequenz und die Intensit\u00e4t der gef\u00fchlsbetonen Stellen in Interstellar<\/em> ist h\u00f6her als bei all seinen bisherigen Filmen. Das globale Dilemma, das verkopfte, strukturelle, thematische Dilemma weicht einem pers\u00f6nlichen \u2013 oder stellt sich zumindest Seite an Seite damit. Das klappt an einigen Stellen hervorragend und das erste Mal hat man bei einem Film von Mister Nolan nicht nur Tr\u00e4nen der Bewunderung, sondern auch Tr\u00e4nen der R\u00fchrung in den Augen. An anderen Stellen ist der Dialog jedoch so platt und klobig, dass man denkt, hier w\u00e4re aus Versehen das Drehbuch einer Seifenoper zwischengerutscht.<\/p>\n\n\n\n

Ein Erlebnis bleibt Interstellar<\/em> allemal. Eine \u00dcberraschung ebenfalls. Eine der gro\u00dfen Gemeinsamkeiten zwischen den Regisseuren, die eingangs genannt wurden ist, dass sie eine kompromisslose Vision verfolgen. Wenn man das Oeuvre von Nolan samt Interstellar analysiert, kann man nicht bestreiten, dass hier jemand seinen ganz pers\u00f6nlichen Blickwinkel nutzt, um Filme zu erschaffen, die vielleicht nicht perfekt sind, aber zumindest einzig in ihrer Art.<\/p>\n\n\n\n

Wenn Christopher Nolan in Interstellar<\/em> etwas dazu lernt, wenn es hier eine Finger\u00fcbung gab, die er weiterf\u00fchren m\u00f6chte, dann wird es das Einbringen einer st\u00e4rkeren emotionalen Ebene sein. Vielleicht m\u00f6chte er die Themen und Strukturen, f\u00fcr die er so verehrt wird in seinem n\u00e4chsten Film endlich an gro\u00dfe Gef\u00fchle und echte Figuren kn\u00fcpfen und das w\u00e4re ein Schritt in die richtige Richtung um noch gr\u00f6\u00dfer, noch besser, noch beeindruckender zu werden: Christopher Nolan nutzt weiterhin seinen genialen Kopf, aber entdeckt in Zukunft eben auch sein Herz.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Nolans Space-Epos im Spiegel seines bisherigen Schaffens.<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[9],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/871"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=871"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/871\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":1051,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/871\/revisions\/1051"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=871"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=871"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=871"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}