{"id":874,"date":"2020-04-13T12:05:00","date_gmt":"2020-04-13T12:05:00","guid":{"rendered":"http:\/\/doktorpeng.lifeisadobbitsch.de\/?p=868"},"modified":"2020-05-12T20:33:12","modified_gmt":"2020-05-12T20:33:12","slug":"interstellar-who-zur-genialitaet-von-christopher-nolans-the-prestige","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/interstellar-who-zur-genialitaet-von-christopher-nolans-the-prestige\/","title":{"rendered":"Interstellar who? \u2013 Zur Genialit\u00e4t von Christopher Nolans The Prestige"},"content":{"rendered":"\n

Neulich hatte ich wieder einen dieser Fiebertr\u00e4ume, in denen ich von lauten, dummen Actionfilmen gejagt wurde: Transformers<\/em> zu meiner Linken,<\/em> The Fast and the Furious<\/em> zu meiner Rechten! Als ich schwei\u00dfgebadet erwachte, sandte ich ein kurzes Sto\u00dfgebet zum Hollywood-Himmel und dankte dem Gott der Produzenten f\u00fcr Christopher Nolan, der es schafft Filme zu machen die gro\u00dfartige Blockbuster sind und trotzdem ungeahnt tiefgr\u00fcndig daherkommen. Gerade ist sein Neuling Interstellar <\/em>in den deutschen Kinos. Aber das Genie brach sich schon vor The Dark Knight<\/em> und Inception<\/em> Bahn. Paradebeispiel: The Prestige.<\/em><\/strong><\/p>\n\n\n\n

\u201eAre you watching closely\u201c ist nicht nur der erste Satz, den wir in The Prestige<\/em> h\u00f6ren, sondern auch ein Leitfaden f\u00fcr uns Zuschauer den Film zu hinterfragen. Denn was uns dort geboten wird, geht \u00fcber die einfache Geschichte von zwei rivalisierenden Magiern um die Jahrhundertwende hinaus, und entwickelt sich, wenn man genauer hinschaut, zu einer Abhandlung \u00fcber die menschliche Identit\u00e4t.<\/p>\n\n\n\n

ACHTUNG: SPOILER<\/strong><\/h1>\n\n\n\n

Die Geschichte  von Alfred Borden (Christian Bale) und Robert Angier (Hugh Jackman), hat ihren Dreh- und Angelpunkt in einem Zaubertrick, der einfach zu gut ist um wahr zu sein: \u201eThe Transported Man\u201c. Borden betritt einen Kleiderschrank am einen Ende der B\u00fchne und kommt eine Sekunde sp\u00e4ter am anderen wieder heraus. Angier ist wie besessen davon, herauszufinden, wie dieser Trick funktioniert und dies ist der Motor, der die gesamte Geschichte antreibt.<\/p>\n\n\n\n

Angiers Assistent Cutter sagt ihm, dass diese Darbietung nur m\u00f6glich ist, wenn es einen Doppelg\u00e4nger von Borden gibt, aber Angier lehnt dies ab: es ist zu simpel, zu flach. Er ist sich sicher, dass derselbe Mann auf der einen Seite der B\u00fchne den Schrank betritt und auf der anderen Seite herauskommt.<\/p>\n\n\n\n

Das Ulkige an der Sache: Wir glauben Angier. Es ist die Mitte des Filmes und ein Doppelg\u00e4nger ist eine zu einfache L\u00f6sung f\u00fcr diesen gro\u00dfartigen Trick. Aber Cutter hat Recht. Wir lassen uns auf Angiers Argumentation ein, denn vielleicht wollen wir ja get\u00e4uscht werden. Oder wie es Cutter selbst formuliert:<\/p>\n\n\n\n

\u201eNow you\u2019re looking for the secret\u2026 but you won\u2019t find it, because of course you\u2019re not really looking. You don\u2019t really want to work it out. You want to be fooled.\u201d<\/p>\n\n\n\n

Wir finden sp\u00e4ter heraus, dass der Doppelg\u00e4nger von Borden dessen Zwillingsbruder ist; ein Bruder, der vor der Welt geheimgehalten wurde, der sich mit Borden ein Leben, eine Frau geteilt hat, ohne dass jemals jemand etwas davon wusste. Die beiden haben jeder nur ein halbes Leben gelebt, damit der Trick funktioniert und gingen sogar so weit, sich zu verst\u00fcmmeln um einander \u00e4hnlicher zu sein.<\/p>\n\n\n\n

Dies alles wei\u00df Angier nat\u00fcrlich nicht und so begibt er sich auf die Suche nach einer L\u00f6sung f\u00fcr den Trick. Dabei findet er zuerst einen eigenen Doppelg\u00e4nger: einen arbeitslosen, trunkenen Schauspieler, der ihm bis aufs Haar gleicht. Doch irgendwann wird der Spielpartner \u00fcberm\u00fctig und die Vorstellung platzt.<\/p>\n\n\n\n

In seiner Verzweiflung wendet sich Angier an den Wissenschaftler Nikola Tesla, dem etwas Unm\u00f6gliches gelingt: er baut eine Maschine, die Menschen klonen und teleportieren kann. Der einzige Haken: man wei\u00df nicht, ob man der Teleportierte oder der Klon ist, und damit der Trick funktioniert muss<\/em> einer der beiden am Ende der Vorstellung sterben.<\/p>\n\n\n\n

Nolan setzt den beiden gro\u00dfen Mysterien des Filmes, sowohl dem Transported Man<\/em> als auch Angiers sp\u00e4terem Trick, die Krone auf, indem er sie schon zu Beginn des Filmes entlarvt, ohne dass wir es merken. Wir sehen in einer der ersten Szenen einen Trick, der uns noch \u00f6fter begegnen wird: ein Vogel im K\u00e4fig verschwindet und taucht daraufhin wieder auf. Sp\u00e4ter beginnt ein Junge zu weinen, obwohl er den lebenden Vogel sieht. Er fragt: \u201eWas ist denn mit seinem Bruder?\u201c. Er hat recht: Beim Trick mit dem Vogel muss immer einer der V\u00f6gel sterben, vom K\u00e4fig zerquescht werden. Dann wird er durch einen anderen, durch seinen Bruder ausgetauscht. Dies ist einerseits die Aufl\u00f6sung f\u00fcr Angiers Trick aber auch die von Bordens. Zwei Doppelg\u00e4ngertricks in einem.<\/p>\n\n\n\n

Uns wird eine undurchdringliche Welt von Doppelungen gezeigt: Angier und der Schauspieler, Angier und seine Klone, Borden und dessen Zwilling, die Freundinnen der beiden, der Wissenschaftler Tesla und dessen Doppel Edison. Aber vielleicht der wichtigste Aspekt: sogar Angier und Borden sind in gewisser Weise Doppelg\u00e4nger voneinander. Sie sehen zwar verschieden aus, aber sie haben die gleichen Ziele, die gleichen \u00c4ngste, die gleichen Lebenswege. An einer Stelle verfolgt Angier Borden und sieht, dass er zu seiner Frau heimgeht. \u201eI saw happiness \u2026happiness that should have been mine.\u201c,<\/strong> und wenig sp\u00e4ter zieht er die Schlussfolgerung: \u201eThe man stole my life. I\u2019m going to steal his trick.\u201c<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Es zeichnet sich hier ein Schema ab: zwei Menschen beanspruchen die gleiche Identit\u00e4t f\u00fcr sich und es endet darin, dass einer von ihnen zerst\u00f6rt wird. Im Zuge des Films sind diese zerst\u00f6rten Figuren Doppelg\u00e4nger, Zwillinge, Klone und am Ende Angier und Borden selbst, bis nur noch einer \u00fcbrig ist.<\/p>\n\n\n\n

Diese Thematik der Identit\u00e4t ist schon in der narrativen Struktur verankert: Der Film wird uns durch ein Tagebuch erz\u00e4hlt, das Borden liest. An einem bestimmten Punkt kommt in diesem Tagebuch Angier vor, der auch ein Tagebuch liest und die Erz\u00e4hlung geht weiter. Wie sich sp\u00e4ter herausstellt sind beide Tageb\u00fccher F\u00e4lschungen. Der Film verschachtelt sich also in sich selbst in Form von Tageb\u00fcchern \u2013 den intimsten Dokumenten eines Menschen, die Ausdruck \u00fcber seine Pers\u00f6nlichkeit geben sollen \u2013 und beide sind nichts als L\u00fcgen.<\/p>\n\n\n\n

Was sagt dieser Film also aus \u00fcber uns und unsere Identit\u00e4t? Um dieses R\u00e4tsel zu l\u00f6sen, schauen wir uns einmal die gro\u00dfe Erkl\u00e4rung \u00fcber Zaubertricks und deren Aufbau an, die der Film liefert:<\/p>\n\n\n\n

\u201cEvery great magic trick consists of three parts or acts. The first part is called \u2018The Pledge\u2019. The magician shows you something ordinary: a deck of cards, a bird or a man. He shows you this object. Perhaps he asks you to inspect it to see if it is indeed real, unaltered, normal. But of course\u2026 it probably isn\u2019t. The second act is called \u2018The Turn\u2019. The magician takes the ordinary something and makes it do something extraordinary. Now you\u2019re looking for the secret\u2026 but you won\u2019t find it, because of course you\u2019re not really looking. You don\u2019t really want to know. You want to be fooled. But you wouldn\u2019t clap yet. Because making something disappear isn\u2019t enough; you have to bring it back.<\/p>\n\n\n\n

That\u2019s why every magic trick has a third act, the hardest part, the part we call \u2018The Prestige\u2019.<\/strong>\u201e<\/p>\n\n\n\n

Drei Akte also: 1. etwas Normales zeigen, 2. die Normalit\u00e4t aufheben, 3. die Normalit\u00e4t zur\u00fcckbringen. Simpel genug. Es gibt aber noch etwas anderes, dass drei Akte besitzt: n\u00e4mlich ein Drehbuch nach Hollywood-Standards \u2013 und auch der Film Prestige<\/em> geh\u00f6rt dazu. Wenn wir also davon ausgehen, dass der Film die Identit\u00e4t der Menschen thematisiert, fallen uns hier \u00fcberraschende Parallelen auf: 1. Im ersten Akt des Filmes denken wir, dass wir uns in einer Welt befinden, in der jeder einmalig ist. 2. Im Zweiten Akt geht der Wahnsinn mit den Doppelg\u00e4ngern los \u2013 nichts ist mehr normal, jeder ist ein vielfaches. 3. Aber dann, als alle Klone und Zwillinge tot sind, gibt es nur noch eine Identit\u00e4t, die wiederhergestellt wurde. Happy End.<\/p>\n\n\n\n

Nicht so schnell! Das bedeutet also, dass der gesamte Film \u00fcber Zauberer, den Regeln eines Zauberkunstst\u00fcckes folgt? Wann spielt der nochmal? Um die Jahrhundertwende\u2026ungef\u00e4hr zu der Zeit, als das Kino gerade aufkam. Die Zaubershows sind also der Vorl\u00e4ufer und vielmehr das \u00c4quivalent zum Kino und wir, der Zuschauer im Kinosessel schauen uns einen ausformulierten Zaubertrick an. Aber was wurde uns vorhin vorgeworfen?<\/p>\n\n\n\n

\u201cYou\u2019re not really looking. You don\u2019t really want to work it out. You want to be fooled.\u201d<\/p>\n\n\n\n

Wenn wir gerade nichts weiter gesehen haben als einen Zaubertrick, was ist dann die Wahrheit hinter den Kulissen? Ganz einfach: Wir haben eine Welt erlebt, die von Doppelg\u00e4ngern, Klonen und Zwillingen wimmelt, eine Welt in der niemand einmalig ist und jetzt f\u00fchlen wir uns wohl in dem Glauben, dass es doch nicht so ist, dass die Welt heil ist.<\/strong> Die Wahrheit, die wir nicht sehen wollen, weil wir get\u00e4uscht werden m\u00f6chten ist (laut Film), dass wir umgeben sind von all diesem Wahnsinn: Es gibt unsere Zwillinge, unsere Klone, die Widersacher, die uns unsere Identit\u00e4t streitig machen. Die wahre Illusion, sagt uns Prestige<\/em>, ist der Glaube daran, dass wir einmalig seien.<\/p>\n\n\n\n

Ironischerweise legt Nolan eine Aussage, die genau auf diesen Punkt eingeht, in den Mund des ersten Doppelg\u00e4ngers, des Trunkenboldes Root, der nach einer erfolgreichen Show zu Angier sagt:<\/p>\n\n\n\n

\u201cYou would drink, too, if you knew the world half as well as I do. Did you think you were unique, Mr Angier?\u201d<\/em><\/p>\n\n\n\n

Aber nat\u00fcrlich glauben wir dem betrunken Schauspieler nicht, nat\u00fcrlich klammern wir uns weiterhin an unsere Einmaligkeit, nat\u00fcrlich schauen wir nicht genau hin, denn schlie\u00dflich f\u00fchlen wir uns doch wohl, als einmalige Person in unserem Kinosessel \u2013 denn am Ende wollen wir doch get\u00e4uscht werden.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ein kurzes Essay \u00fcber Themen und Kniffe in einer meiner liebsten Nolan-Filme.<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[9],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/874"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=874"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/874\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":1054,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/874\/revisions\/1054"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=874"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=874"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.lifeisadobbitsch.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=874"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}